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Cinema for Peace: Feiern bis die Schwimmweste kracht

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Am Ende liegt eine zerschlagene E-Gitarre auf der Bühne und zwei Securityschränke kommen backstage, um für Ruhe zu sorgen. Die alljährliche Cinema for Peace-Gala, die sich auch wegen der Promi-Dichte an die Berlinale gehängt hat, obwohl sie nichts mit dem Filmfest zu tun hat, hat sich in diesem Jahr selbst übertroffen. Charity-Galas sind nie schön. Wenn man das feiste Dinieren der Schönen und Reichen mit Spenden für Menschen in Not kombiniert, hat das immer einen fiesen Beigeschmack. Aber 2016 ist wirklich das Jahr der bodenlosen Geschmacklosigkeit. Chapeau!

Eingang

Es fängt bereits auf dem Weg ins Konzerthaus Berlin an, dessen Säulenfront der gefeierte chinesische Künstler Ai Wei Wei mit Hunderten ganz realer Schutzwesten von Flüchtlingen aus Lesbos und einem riesigen Schlauchboot "verziert" hat. "Safe Passage" steht über den Köpfen der Gäste zu lesen, "sichere Überfahrt". Spätestens wenn in voller Glamourausleuchtung Frauen ihre Abendkleider über die Treppe schwingen, fühlt sich das Bild einfach nur falsch an. Aber das ist wie gesagt nur der Anfang.

Cinema for Peace gegen das Böse in der Welt

Der gute Wille - "Sie tun immerhin was" - wird weiterstrapaziert, wenn auf der großen Leinwand im Festsaal Videoclips laufen, die sich mit "Das Böse in der Welt in drei Minuten" beschreiben lassen: Srebrenica, Hitler, die Atombombe, der Klimawandel, Zensur verhackstückt in apart anzusehenden Sound- und Sight-Bites, die ganz formidabel zur Vorspeise passen. Involtini von der Poularde übrigens. Aber wie gesagt, das ist ja auf Charity-Galas immer der Fall.
Besonders laut geklatscht wird, als alte Auftritte und Botschaften von George Clooney, Angelina Jolie, Sean Penn und Leonardo DiCaprio eingespielt werden. Sind wir nicht alle ein bisschen Star, scheint die Botschaft zu lauten. Tatsächlich sitzt Hollywoodschauspielerin Charlize Theron ("Mad Max: Fury Road") vorn am Ehrentisch. Und sie hält einen bewegenden Vortrag über ihre Arbeit in Südafrika im Kampf gegen Aids, den sie gemeinsam mit dem Enkel von Nelson Mandela führt. Das hört sich ganz ehrlich gut an und spricht dafür, besagten fiesen Beigeschmack der Veranstaltung zu ignorieren.

Weiß Felix Baumgartner, dass er Flüchtlinge unterstützt?

Denn wenn hier alle irgendwelche Projekte unterstützen, ist das am Ende ganz schön viel. Da macht es auf einer kleineren Leinwand neben der großen "Pling", weil ein neues Gebot eingelaufen ist: Die Gäste im Saal können nämlich - neben Bühnenshow und Dinner - für den guten Zweck alles mögliche ersteigern: einen Glamourabend mit Sophia Thomalla, einen Song mit Pussy Riot aufnehmen, Tickets für das Filmfest Venedig. Der größte Witz ist hierbei das "Felix Baumgartner Board". Ob der Orban-Freund überhaupt weiß, dass er Flüchtlinge finanziert?

Eingang

Denn Cinema for Peace unterstützt in diesem Jahr vor allem Refugee-Filme, so die Ansage. Schließlich erreiche das Kino Menschen in aller Welt. Filme können die Welt ändern, sagt der Hauptsponsor des Abends, Gastón Pavlovich. Und tatsächlich geht der Preis für den "wertvollsten Flüchtlingsfilm" - ausgewählt unter der Ägide von Ai Wei Wei und überreicht von Katja Riemann - an "A Syrian Love Story" , ein beeindruckendes Dokument über ein Paar, das sich im syrischen Gefängnis trifft, später heiratet, flieht und auf der Flucht auseinanderbricht.

Die einstige Familie steht samt kleinem Sohn auf der Bühne, und just nachdem die Mutter sich auf Arabisch bedankt und den wichtigen Satz gesagt hat: "Syrer wollen keine Flüchtlinge sein, sie wollen frei in ihrem Land leben", passiert das grotesk Absurde: Der Gastgeber des Abends sagt seinem Publikum, dass jeder ein Geschenk unter dem Stuhl habe: eine Notfalldecke. Und dann bittet er die aufgebrezelten Damen und Herren im Saal, sich in diese goldenen Decken zu hüllen, die man von Bildern aus Lampedusa oder Lesbos kennt. Und weil es angeblich Ai Wei Wei ist, der sich das Notfalldecken-Spiel ausgedacht hat, machen alle mit. (Auch du, Charlize Theron)
In all dem Deckengeraschel und Selfiegeknipse geht der Auftritt der eigens angeheuerten "Refugee-Band" (den Namen Khebez Dawle hat sich niemand gemerkt) völlig unter. Die fünf jungen Männer aus Damaskus spielen sich die Seele aus dem Leib. Das erinnert fast ein bisschen an Sigur Ros. Anders als bei Sigur Ros geht es in dem Song "Auf der Straße" um die Freiheit, sagen zu können, was man denkt. Dem Publikum ist das herzlich egal. Kaum einer bemerkt überhaupt das Ende des Songs. Und deshalb landet hinter der Bühne erstmal ein Glas an der Wand.

Gegen das Flüchtlings-Klischee

Seit dreieinhalb Monaten ist die Band in Berlin. Von Beirut aus ging es in die Türkei, nach Griechenland, über die Balkanstaaten nach Österreich und von dort nach Deutschland. "Das Schlauchboot da draußen ist viel zu groß und zu gut, um real zu sein", sagt Bandmitglied Bazz. "Hört auf, die Ignoranz zu füttern", hatte Sänger Anas zu Beginn des Auftritts ins Mikro gerufen.

Weil sie später noch ein Stück spielen sollen, hängt die Band samt Entourage (ein eigenes Filmteam, das die Erlebnisse seit dem Aufbruch in Beirut dokumentiert) in der Luft. Man betrinkt sich, versucht das Ganze mit Humor zu nehmen. Aber die Fassungslosigkeit bricht immer wieder durch. Das Wort "Shit" fällt ziemlich häufig. Aber auch "absurd". "Es geht darum, aus der Flucht eine Konzerttour zu machen, damit das Klischee des hilflosen Flüchtlings gebrochen wird. Aber genau dieses Klischee wenden die hier gerade an", sagt Emmanuele zutiefst schockiert.
Der Gitarrist Bashar lehnt gedankenverloren an der Wand und sagt dann sehr ruhig: "Als ich in Italien angekommen bin, hat man mir so eine Decke umgelegt. Zu sehen wie die Leute vor der Bühne damit Selfies machen, hat mich wütend gemacht."

Liefers

Der zweite Song, den Khebez Dawle spielen sollen, ist David Bowies "Heroes". Aber weil damit die Gala endet, spielen sie wieder ziemlich für sich allein, denn die Bühne ist voll mit Partygästen, die auch mal neben Charlize Theron stehen wollen. So kommt es kurz darauf zur zertrümmerten Gitarre. Und der besorgten Backstage-Security. Aber davon bekommen die Leute im Saal rein gar nichts mit.


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