Nizza (dpa) – Das Casino auf der Strandpromenade wurde 1944 von deutschen Soldaten zerstört. Und an der Stelle des Luxushotels des Anglais, in dem König Ludwig I. von Bayern einer der ersten Gäste war, steht das über 300 Zimmer zählende Le Méridien. Wo früher die Aristokratie aus Europa und Russland mit Hut und Melone stolzierte, treffen sich heute Tausende Touristen, Jogger und Inlineskater. Die rund sieben Kilometer lange «Promenade des Anglais» in Nizza kann auf eine 250 Jahre alte Geschichte blicken. Mit 14 Ausstellungen feiert die Stadt am Mittelmeer nun die Flaniermeile, die sie auf die Unesco-Welterbeliste setzten lassen will.
Jedem, der in Nizza war, ist die «Promenade des Anglais» ein Begriff. Denn die Strandpromenade reicht vom Flughafen bis hin zum Quai des Etats-Unis in Hafennähe. Wer nicht in einem der Stühle gesessen und das Meer betrachtet hat oder das legendäre Nobelhotel «Le Negresco» mit seiner blütenweißen Belle-Epoque Fassade, hat sie irgendwann wohl zumindest einmal auf der gleichnamigen Hauptstraße abgefahren.
Die teilweise bis zu zehn Meter breite «Prom», wie die Einheimischen ihre Uferpromenade nennen, ist schon lange zum Wahrzeichen der Stadt geworden. Frankreichs Ex-Kulturminister Jean-Jacques Aillagon spricht sogar von einem Mythos. Die Promenade sei heute weltberühmt und dennoch unbekannt, erklärte der Ex-Politiker und Kurator der 14 Werkschauen, die bis zum 4. Oktober dauern. Für Frankreich und die Welt sei sie ein bedeutendes Erbe. Marc Chagall hat sie verewigt, aber auch Henri Matisse und Raoul Dufy. Chagall etwa entdeckte 1926 die Stadt und den bekannten Blumenmarkt, den es noch heute gibt. Seine Lithografien hängen derzeit im Musée Chagall in der Ausstellung «Nizza, Sonne, Blumen. Marc Chagall und die Baie des Anges».
Die Geschichte der Flaniermeile kennt Aillagon gut. Sie habe zu Beginn des 19. Jahrhunderts als «Chemin des Anglais» begonnen, ein von den Engländern 1824 angelegter rund zwei Meter schmaler, steiniger Weg. Damals gehörten die Briten neben den Russen zu den ersten Touristen, die auf der Flucht vor dem kalten Winter das milde Klima am Mittelmeer entdeckten. Die Stadt soll so viel Engländer gezählt haben, dass der französische Schriftsteller Alexandre Dumas (1802-1870) schrieb, Nizza sei im Grunde eine englische Stadt, in der man hin und wieder auch einen Einheimischen treffen könne.
Die Villa Masséna, in der herrliche Schwarzweiß-Fotografien die Geschichte dokumentieren, stammt ebenfalls aus der Glanzzeit der Belle-Epoque. Auch sie liegt an der «Promenade des Anglais». Heute dient der Prachtbau als Museum für Stadtgeschichte. Unter dem Titel «La Promenade oder die Erfindung einer Stadt» entdeckt man auch ein Foto der Villa Mercedes, auf dem die Familie von Emil Jellinek (1853-1918) abgebildet ist.
Der österreichische Geschäftsmann vertrieb Daimler-Automobile und verbrachte um die Jahrhundertwende den Winter in der Hafenstadt. Seine Residenz habe an der Promenade des Anglais Nummer 54 gelegen, wie Aillagon erzählte. Nach Nizza lieferte die Daimler-Motoren-Gesellschaft im Dezember 1900 ihren ersten Mercedes 35 PS.
Der «Chemin des Anglais» wurde im Jahr 1849 durch die «Terrasses des Ponchettes» erweitert, einen Gehweg, der über die Flachdächer der Häuser am Strand verlief. Nun will die Stadt den Terrassenweg wieder erbauen lassen, der damals der Lieblingsspazierort europäischer Aristokraten war. Zum Hochadel, der dort flanierte, gehörte neben Königin Viktoria von England auch Ludwig I. von Bayern, der in Nizza im Februar 1868 im Alter von 81 Jahren in einer für den Winter gemieteten Villa starb. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Weg dann zur «Promenade der Engländer».